Am 18.03.2023 jährt sich die Unterzeichnung des sogenannten “EU-Türkei-Deals” zum
siebten Mal. Nach sieben Jahren systematischer Menschenrechtsverletzungen läuft die
Finanzierung dieses Deals aus. Damit stellt sich nun ganz konkret die Frage einer möglichen
Anschlussfinanzierung. Anlässlich des Jahrestags des Deals fordern wir, ein breites Bündnis
migrationspolitischer Organisationen, die Bundesregierung sowie die EU-Kommission auf,
eine Kehrtwende in der Migrationspolitik einzuleiten. Es darf keine Neuauflage des
schmutzigen EU-Türkei-Deals und der damit verbundenen institutionalisierten
Menschenrechtsverletzungen geben. Die EU muss Verantwortung übernehmen, Migration als Tatsache anerkennen und sichere Fluchtwege schaffen!
Der Deal und die Situation für Geflüchtete in der Türkei
Am 18.03.2016 trat der so genannte EU-Türkei-Deal in Kraft. Unter anderem wurden mit
ihm systematische Abschiebungen von EU-Territorium ohne Prüfung von Asylgründen
zurück in die Türkei möglich. So sollte die Weiterreise gen EU für Flüchtende unmöglich
gemacht werden. Seither sitzen tausende Menschen in der Türkei oder in den griechischen
Lagern fest. Schaffen sie es weiter, so sehen sie sich mit illegalen Pushbacks und massiver
Gewalt durch Grenzschutzbeamt*innen entlang der so genannten Balkanroute konfrontiert.
Die Türkei hat die Genfer Flüchtlingskonvention nur mit “geographischem Vorbehalt”
unterzeichnet - sie gilt nur für Geflüchtete aus Europa. Fliehende Menschen, die in Folge des
EU-Türkei-Deals wieder dorthin zurückgeschoben werden, sind schweren
Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Berichte zeigen, dass immer wieder Menschen auch in das vom Krieg geplagte Syrien abgeschoben werden. Gerade in den kurdischen Gebieten entlang der türkisch-syrischen Grenze führt das türkische Regime seit Jahrzehnten einen erbitterten Kampf gegen die kurdische Bevölkerung, ist seit vielen Jahren in den syrischen Bürgerkrieg verwickelt und verfolgt systematisch die dortige politische Opposition.
Verschärft wird die Situation nun nochmals durch die jüngsten Erdbeben in der
Türkei, Kurdistan und Nordsyrien. Die ohnehin schon menschenunwürdigen
Lebensbedingungen in den großen Lagern im türkisch-syrischen Grenzgebiet haben sich in
dieser Folge nochmals drastisch verschärft.
Viele Menschen fliehen explizit vor der türkischen Gewalt in Richtung Europa.
Menschen nun ausgerechnet dorthin abzuschieben und der Willkür des türkischen Regimes
auszusetzen, ist menschenverachtend. Eine Zusammenarbeit mit eben jenem
Erdoğan-Regime, das maßgeblich zu Fluchtursachen beiträgt, offenbart einmal mehr den
heuchlerischen Umgang der EU-Staaten mit ihren sonst so oft beschworenen “Werten”. Dass sie somit gleichzeitig ein diktatorisches Regime unterstützen und weiter legitimieren, passt da nur ins Bild.
Folgen des Deals für die europäische Migrationspolitik:
Seit dem Abschluss des EU-Türkei-Deals sollten die vorher zentralen Fluchtwege über die
westlichen Balkanstaaten oder die Ägäis faktisch verschlossen werden. In der Praxis machen
sich trotz aller Hindernisse immer wieder Menschen auf den Weg. Dieser wird durch die
Maßnahmen der Migrationskontrolle jedoch immer gefährlicher und schwerer. Mittels
illegaler Push- und Pullbacks sichert die europäische Grenzschutzagentur Frontex gemeinsam mit nationalen Grenzpolizeien die europäischen Küsten und Landesgrenzen ab und nimmt dabei bewusst den Tod von fliehenden Menschen in Kauf.
Gleichzeitig dient der Deal als Blaupause für weitere Abkommen mit Staaten wie
Kroatien, Bulgarien aber auch Libyen, um menschenrechtswidrige Praktiken, wie
willkürliche Inhaftierungen, körperliche und psychische Gewalt und illegale Abschiebungen
mit Billigung der EU zu ermöglichen. Die EU kauft sich damit unter dem Schlagwort der
Externalisierung von jeder rechtsstaatlichen Verpflichtung frei und ignoriert somit
systematisch ihr eigenes Recht.
Mit dem EU-Türkei-Deal hat sich die EU endgültig von einer menschenrechtsbasierten Migrationspolitik und von dem Versuch, eine solidarische europäische Migrationspolitik zu entwickeln, die das Leben jedes fliehenden Menschen schützt und den Zugang zu einem fairen und transparenten Asylverfahren ermöglicht.
Stattdessen werden autokratische Regime von der EU mit Milliarden ausgestattet, um damit
Krieg gegen die eigene Bevölkerung und fliehende Menschen zu führen. Die fliehenden
Menschen selbst werden zu einer politischen Verschubmasse, ihre Gesundheit und Zukunft
wertlos.
Wir fordern:
Keine Milliarden für Menschenrechtsverletzungen.
Stoppt die Abschiebungen in die Türkei und anderswo!
Seit Jahren weisen Migrationsforscher*innnen immer wieder darauf hin, dass diese repressive Migrationspolitik die grundsätzlichen Herausforderungen der globalen Flucht- und Migrationsbewegungen nicht ansatzweise lösen kann. Für einen kurzfristigen Rückgang der Grenzübertritte wird das Leid fliehender Menschen weiter verschärft und deren Tod
wissentlich in Kauf genommen. Doch statt nach einer so dringend benötigten Lösung der
unmenschlichen Situation an den europäischen Außengrenzen zu suchen, wird abermals nur
für eine Verschiebung der Fluchtwege zu immer tödlicheren Routen gesorgt. Die sich aktuell
abzeichnende Politik der EU forciert erneut eine Intensivierung von Abschiebungen, wie sich
auf der außerordentlichen Tagung des Europäischen Rates Anfang Februar gezeigt hat. Eine
fatale Tendenz, die das Leid und Sterben an den europäischen Außengrenzen weiter
verstärken wird.
Die EU-Kommission darf sich nicht länger von rechten Hetzer*innen treiben
lassen und die selbst propagierten Ideale für eine menschenfeindliche Migrationspolitik
verraten. Menschenrechte sind unverhandelbar!
Wir fordern die EU-Kommission daher auf, keine Neuauflage des EU-Türkei-Deals zu
unterzeichnen.
Keine Milliarden mehr für Menschenrechtsverletzungen!
Stoppt die Abschiebungen in die Türkei und anderswo.
Unter dem Motto "No More EU Turkey Deal - Human Rights are Not For Sale" rufen wir als
Bündnis daher zu einem dezentralen Aktionstag auf. Gehen wir mit kreativem Protest auf die
Straßen und kämpfen gemeinsam für einen Wandel!
Erstunterzeichner*innen:
Abolish Frontex
Balkanbrücke
Bleibewerk Bonn des Kölner Flüchtlingsrat e.V.
Borderline Europe
Collective Aid
Europe Cares e.V.
Flüchtlingsrat Baden-Württemberg e.V
Flüchtlingsrat Brandenburg
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.
frachcollective
klikAktiv
Leave No One Behind
No Name Kitchen
Project ELPIDA e.V.
Sächsischer Flüchtlingsrat
Seebrücke
Seebrücke Kiel
Seebrücke Braunschweig
SOS Balkanroute
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