Auf den Inseln der Ägäis beobachten wir in den letzten Monaten einen Wandel in der Behandlung und im Umgang mit Geflüchteten, die in Griechenland ankommen. Diese Veränderung führt zu oft neuem Ungerechtigkeiten für die Schutzsuchenden. Die Zahl der Registrierungen von neu auf den Inseln ankommende Personen steigt weiter an, gleichzeitig halten die Behörden weiterhin an menschenrechtswidrigen Haftverfahren und -bedingungen fest. Neben uneinheitlichen und wechselnden Bearbeitungsmaßnahmen, haben die neu in Griechenland angekommenen Personen und die nichtstaatlichen Akteure, die sich für sie einsetzen, mit diesen neuen Mechanismen zu kämpfen, die mehr Probleme schaffen, als sie zu lösen versuchen.
Unrechtmäßige Inhaftierung
Zwischen dem 1. Juli und dem 31. August haben über 4.000 Menschen die CCACs (Closed Controlled Access Centers) auf den Ägäisinseln Samos und Lesbos erreicht. In dieser Zeit haben die für die Aufnahme Verantwortlichen de facto eine Politik der Inhaftierung betrieben, indem sie die Menschen automatisch für längere Zeit, in der Regel zwischen 2 und 4 Wochen, in den CCACs einsperrten , ohne dass sie diese verlassen durften, während sie auf ihre Registrierung warteten.
Dies verstößt gegen Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), in dem das Recht der Menschen auf Freiheit verankert ist. Auch mit Artikel 3 der EMRK ist diese Politik unvereinbar, da dieser den Schutz vor Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung vorschreibt. Die griechische Handhabung verletzt somit griechisches und EU-Recht, nach dem die Inhaftierung nur als letztes Mittel und auf der Grundlage einer individuellen Haftanordnung erfolgen darf. Bei dieser Massenabfertigung fehlen rechtliche Begründungen und eine individuelle Bewertung, die beide für die Durchführung dieser Maßnahmen erforderlich sein sollten.
Die Bedingungen, unter denen die Menschen festgehalten werden, verstoßen gegen grundsätzliche Prinzipien der Menschenwürde, die als wichtige europäische Werte proklamiert werden. Darüber hinaus haben die von den Behörden auferlegte Behandlung und Verfahren darauf abgezielt, durch ständige Überwachung die persönlichen Freiheiten von Menschen, die gerade eine schwierige und traumatische Reise hinter sich haben, stark einzuschränken.
Auf Lesbos werden die Neuankömmlinge im CCAC in großen Hallen untergebracht, in denen die Betten überfüllt sind und viele nicht miteinander verwandte Männer, Frauen und Kinder ohne jegliche Privatsphäre oder Sicherheitsvorkehrungen zusammen untergebracht sind. Die Einrichtungen sind unwürdig; es gibt keinen Strom und nur unzureichende Bettwäsche, Nahrung und Wasser.
Auf Samos herrschen ähnliche Zustände: Bis zu 35 Personen werden dort in Containern untergebracht und provisorische Unterkünfte müssen im Freien errichtet werden, um den Menschen eine Art Schutz zu bieten. Ursprünglich wurde als Begründung für den Bau dieser neuen Strukturen auf den Inseln die Bilder von überfüllten Lagern aus der Vergangenheit angegeben und das Ziel, eine solche Situation in Zukunft zu vermeiden. Doch mehr als zwei Jahre nach der Eröffnung des Camps auf Samos muss man konstatieren, dass dieses Vorhaben gescheitert ist.
Die zentralen Unterbringungszentren auf Samos und Lesbos befinden sich in einem kritischen und unwürdigen Zustand. Derzeit befinden sich mehr als 4.000 Menschen in den CCAC auf Samos, was einer Auslastung von mehr als 200 % entspricht, während die Situation auf Lesbos, mit mehr als 5.000 Menschen, 150 % der Kapazität erreicht wurde. Die faktische Inhaftierung zwingt die Menschen, sich in diesen überfüllten Zentren aufzuhalten. Gleichzeitig werden die CCACs nicht in einer Weise bewahrt, die eine angemessene Unterbringung oder Versorgung aller Ankommenden ermöglicht.
Viele humanitäre Akteure, die auf den Inseln und auf dem griechischen Festland tätig sind, haben ihre Besorgnis über das Vorgehen der Behörden zum Ausdruck gebracht und ein sofortiges Ende dieser rechtswidrigen Inhaftierung gefordert. Sie verurteilen die Unfähigkeit der Zuständigen, sich auf den prognostizierten Anstieg der Ankünfte vorzubereiten, sowie die daraus resultierende schlechte Bewältigung der Situation und die Wahrung der Menschenrechte ihrer Bewohner*innen.
Entwürdigende Bedingungen
Sowohl auf Samos als auch auf Lesbos ist der Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung unzulänglich die Menschen sind unter chaotischen Bedingungen eingesperrt. Die engen, überfüllten Räume stellen ein Hygienerisiko dar und unzureichende Trinkwasser- und Nahrungsvorräte gepaart mit dem Mangel an sicheren Hygieneeinrichtungen mit ausreichend fließendem Wasser verstärken dies um ein Vielfaches. Die menschenunwürdige Behandlung, die die persönlichen Freiheiten einschränkt, in Verbindung mit schlechten Schlafplätzen und dem unzureichenden Zugang zur Grundversorgung ist eine Kombination, die das Leid vieler Kinder, Männer und Frauen zusätzlich verschlimmert. Der Ort, an dem ursprünglich der Start in ein sicheres Leben begonnen werden sollte, wird somit Bestandteil der traumatischen Fluchterfahrung. Wie sehr sich dieser Zustand auf die Psychen der quasi internierten Menschen auswirkt, dokumentiert ein Bericht unserer Partnerorganisationen Samos Volunteers und I Have Rights auf grundlage von Zeugenaussagen.
Da viele Neuankömmlinge in den CCACs inhaftiert sind, ist es schwierig, Zugang zu medizinischer Hilfe zu erhalten. Dies führt dazu, dass viele Personen, die eine medizinische Grundversorgung oder psychologische Unterstützung benötigen, oder extrem gefährdete Personen, die bereits an einer Krankheit leiden, schwanger sind oder sexuelle Gewalt erlebt haben und keinen Zugang zu medizinischer Unterstützung haben.
Mittlerweile wird zudem den meisten Organisationen der Zugang zu den CCACs schlicht untersagt. Daher ist es nach wie vor schwierig, über genauere Entwicklungen zu berichten, geschweige denn diese Berichterstattung detaillierter zu gestalten. Darüber hinaus haben die in den CCACs eingeschlossenen Personen keinen Zugang zu vielen wichtigen Dienstleistungen, die von NGOs angeboten werden. Vielen Akteuren auf den Inseln Lesbos und Samos zufolge haben sich die bereits bestehenden Kämpfe um die Grundversorgung durch die Inhaftierungen noch verschärft. Dies liegt jedoch keineswegs an fehlender Bereitschaft vonseiten der humanitären Hilfsorganisationen, denn diese ist weiterhin hoch, besonders angesichts des auffallend großen Bedarfs und der Versorgungslücken in den CCACs.
Transfers auf das Festland
Nach ihrer Inhaftierung werden viele Menschen nach Abschluss ihrer Registrierung zeitnah in die Lager auf dem griechischen Festland gebracht. In diesen Unterkünften durchlaufen viele Menschen das Asylverfahren, nehmen an Anhörungen teil und warten auf die Entscheidung über ihren Fall.
Viele Organisationen, die Geflüchtete auf dem griechischen Festland unterstützen, müssen sich auf eine große Zahl neu angekommener Menschen einstellen, die aufgrund ihrer Inhaftierung oder der kurzen Zeit, die sie auf den Inseln verbracht haben, nicht die Möglichkeit hatten, sich neue Kleidung oder Hygieneartikel zu besorgen, rechtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen oder medizinische und psychologische Unterstützung zu erhalten.
Diese NGOs, die häufig bereits unter schwierigen Bedingungen arbeiten, passen daher ihre Dienste und Kapazitäten an, um der neuen Situation so gut wie möglich gerecht zu werden. Dies ist auch eine Folge der veränderten Lagerstrukturen in den letzten Jahren, in denen sich die bisherigen Akteure fast vollständig aus den meisten Lagern zurückgezogen haben, da die griechischen Behörden mehr Kontrolle über diese Einrichtungen ausüben. Dennoch hat dies keineswegs zu einer Verbesserung der Aufnahmestrukturen geführt, eher das Gegenteil ist der Fall, denn der Anpassungsprozess hat bereits seine eigenen Frustrationen und Komplikationen mit sich gebracht: Viele Organisationen sind vermehrt nicht in der Lage, ihre Dienste systematisch zu planen und flexibel zu operieren, da sie in der Regel keine Informationen darüber erhalten, wie und wann die Menschen aus der Haft entlassen werden.
Aufgrund des erhöhten Tempos des derzeitigen Registrierungs- und Überstellungsverfahrens, befürchten humanitären Aktivist*innen, dass Schutzbedürftige bei einigen Registrierungen übersehen oder pauschalisiert werden könnten.
Außerdem besteht die Sorge, dass viele Menschen keine ausreichenden Übersetzungen zur Verfügung gestellt werden und sie weder die Zeit noch die nötigen Ressourcen erhalten, um das sehr komplizierte Asylverfahren richtig zu verstehen. Gleichzeitig wird oft eine Registrierung abgeschlossen, ohne dass daraufhin eine Eröffnung des Asylverfahrens erfolgt. Theoretisch sollte dies allerdings nach der Überstellung auf das Festland geschehen. Jedoch sind in der Praxis die meisten Lager auf dem Festland ebenfalls überfüllt, wodurch es immer schwieriger wird, in einem bereits dysfunktionalen System ein neues Asylverfahren einzuleiten. Seit letzter Woche erreichen uns Berichte aus Athen, wo Menschen, die von Lesbos überstellt wurden, aufgrund von Ablehnungen in den Lagern auf dem Victoria-Platz Zuflucht gesucht haben, was sehr an das chaotische und ungeplante Aufnahmesystem von 2015 erinnert.
Ein Blick in die Zukunft
All diese Entwicklungen vollziehen sich, während die politischen Entscheidungsträger in Brüssel und anderswo über das neue Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) beraten. Dieses System zielt darauf ab, die gesetzlichen Haftzeiten an den EU-Außengrenzen auf bis zu acht Wochen für Personen aus Ländern mit niedrigen Anerkennungsquoten zu verlängern. Die Umsetzung dieser Reform würde die ohnehin schon schlimmen Bedingungen in den Lagern auf den Inseln weiter verschärfen.
Während die ursprüngliche Konzeption dieser Einrichtungen darauf abzielte, einen strukturierten und effizienteren Ansatz für die Asylverfahren zu schaffen, bedeutet die angekündigte GEAS-Reform das genaue Gegenteil. Da die Abschiebungen aufgrund der diplomatischen Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei zum Stillstand gekommen sind, besteht die Sorge, dass noch mehr Menschen auf den Inseln festsitzen könnten, ohne Zugang zu fließendem Wasser, psychosozialer Unterstützung oder Rechtsberatung.
Ein weiteres Problem drängt sich geradezu auf: Während die "Dschungel" auf Samos und Lesbos und die Lebensbedingungen der dort lebenden Menschen gelegentlich für Dokumentationen und öffentliche Empörung sorgten, macht es die Isolation und die Haltung der griechischen Regierung leider äußerst schwierig, die tägliche Realität der Vertriebenen zu erfassen. Während wir uns nachdrücklich für zügige und gerechte Verfahren einsetzen, erleben wir derzeit eine Verlagerung der Verantwortung auf das griechische Festland.
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